Künstlerhaushalt


Kleine Ursache, große Wirkung! Fast hätte eine winzige Laus mein glückliches Familienleben auf dem Gewissen, vorausgesetzt, dass ein hirnloses Wesen so was hat, Gewissen nämlich.
Fand sie nicht im Pelz, lief mir nicht über die Leber, entdeckte sie vielmehr im Rosenbusch, welcher Terrasse und Ausblick verschönern sollte. Schön sein und schöner machen durch sich selbst, das bewirkt eine eigene Daseins-berechtigung.
Mir schoss der Gedanke an Sex und Liebesleben der Insekten durch den Kopf. Vom Vorhandensein einer Verhütungspille für Läuse hatte ich noch nichts gehört, und mir fielen Kolonnen einer auf dem Vormarsch befindlichen Läusenachkommenschaft ein, die der Rose das Mark aus den Stängeln ziehen und sie somit verdorren lassen würde, womit dem süßen Läuseleben allerdings auch ein Ende gesetzt sein würde. So ist das mit Nachkommen. Sie vernichten das Vorhandene, um es als Kulturrevolution zu tarnen, dann bauen sie sich Häuser ins Leere und wundern sich, wenn die beim ersten Luftzug in sich zusammenfallen. Sie vergessen - wenn sie es denn überhaupt je wussten, dass die Zerstörung ein viel schnellerer Prozess ist als ein Neuaufbau. Nur wirklich sehr Junge können sich die Zerstörung leisten, weil sie sonst nicht genug Zeit haben, neue Lorbeeren zu züchten, auf denen sie sich dann ausruhen und neue Kinder heranziehen könnten. Und diese wiederum brauchen Material, das Kinderspiel ihrer Altvorderen fortzusetzen.
Aber Läusekinder gehören nicht in dieses Ressort, schon gar nicht ins meinige. Hab keine Kinder, brauche keine Läuse. Weg damit! Will also die Rose spritzen. Mit Vernichtungsmitteln ist schon viel abgespritzt worden: Unkraut, Ungeziefer und - was es da sonst noch in dieser Preislage gibt. Ist ausreichend getestet worden von klugen Leuten, die alles vernichteten, was störte. Muss gar nicht so einfach sein, einfach Millionen umzulegen und immer noch Zeit zu haben, sich an der danachkommenden Ruhe zu erfreuen.
Mir ist es schon genug und reicht, eine kleine Laus umzubringen. Ich glaub, ´ne gewisse Routine dazu ist notwendig . Aber die werd ich schon kriegen, wenn´s mit den nassen Sommern so weitergeht.
Ich such also die Spritze, mit der ich fix und geräuschlos arbeiten kann. Gib t einige Arten von Spritzen. Mit mancher begibste dich auf die Reise, ohne zu wissen, dass du erst im Himmel am Ziel bist.
"- is´n die Spritze?" frag ich meinen Holden, der schon wieder fernsieht, weil er das Nahe nicht mehr zu schätzen weiß.
" -nahnung!" kommt es zurück. Der Telegrammstil macht mich richtig wahnsinnig. Kann der denn nicht mal anständig wenigstens mit der eigenen Frau reden? Reichts nicht, wenn ich ihn nutze? Für ein bisschen eheliche Kommunikation könnte er sich schon interessieren.
"Man(n) muss in seinem Haus doch Bescheid wissen." Ich versuch, etwas Pep ins Gespräch zu bringen. Gelingt sogar. Ich höre: "Nich, wenn Frau täglich rumräumt!"
Das regt mich auf.
" - soll´n das? Lass´n Quatsch. Ich find alles, dauert bloß zu lange - das Suchen. Also - sag schon, mach deiner Süßen das Leben leichter."
"Reicht doch, wenn ich´s Geld verdiene. Dein Leben is doch´n Leckerbissen."
Seine Überheblichkeit lässt mich giften: "Dann werd ich mit einem dämlichen Geldschein die Laus von der Rose spritzen oder...?"
Er glitzert mich mit grasgrünen Buckeraugen an. Teufel, hat dieser Mann Augen! Ich vergesse fast die Spritze, jedenfalls die, mit der man das Ungeziefer vernichtet. Trotz der neun Jahre, die wir zusammen sind, spür ich diesen Blick überall, sogar da, wo´s im Moment nicht angebracht ist. Ihm zumindest scheint es nicht so zu gehen merke es an der (Nicht-)reaktion.
"So, mein Geld is also dämlich. Was bist denn du? Vielleicht ne Dame, immer vornehm - oder - was?"
Ich zieh mir nicht die Jacke an, die er mir imaginär hinschmeißt. Bleibe kühl, beweis damit meine weibliche Überlegenheit.
"Lass mich in Ruh, such doch bloß die Spritze!"
"Du solltest wirklich ab und zu eine verpasst bekommen!" sagt er ein bisschen gequetscht, sieht aus, als hätte ich ihn jetzt da, wo ich schon bin. Aber als emanzipierte Frau hat man seinen Stolz. Ich fange an, Krach zu machen.
"Was soll das schon wieder heißen? Willste mir - vielleicht, wat denn - verpassen? Versuch mal, dich an mir zu vergreifen, - da kannste dir jemand anders suchen..."
"Siehste", sagt er schmelzend, "so eine bist du! Wärste ´ne andere Frau..."
Ich tobe los: "Ah, so siehtet aus, ich passe dir nicht mehr. Willste ne andere -? Na, du würdst dich wundern. Ich jedenfalls bin ich, bleib ich auch. Merk dir das. Und dass du impotent bist, dafür kann ich doch nichts!"
Es ist mir einfach so rausgerutscht. Ich halt den Atem an.
Er stiert mich an, dass sich mir eine Gänsehaut den ganzen Rücken runter bildet. Ich grinse, aber mein Holder verzieht keine Miene. Dabei kichert es jetzt aus dem Fernseher wie toll, scheint ein Lustspiel da zu geben. Lust - die hab ich ihm scheinbar gründlich verdorben.
"Du", schnappt er, "sag das nochmal."
Ich werd mich hüten. Im Gegenteil japse ich: "Sag mir doch bloß, wo die Spritze ist. Mehr brauchste nich für mich zu tun, - setz dich, machs dir bequem."
Wie ein Kater unter der Schmusehand lehnt er sich zurück. Ich denk, aufatmen zu können.
"Worum geht es denn eigentlich? Was suchst du für ne Spritze? Biste Diabetikerin. Haste zuviel Zucker im Blut? Könnt ja sein. Hab allerdings bis jetzt nie bemerkt, dass zuviel Süßes an dir ist."
Geb schon wieder Kontra, Himmel, regt dieser Mann mich auf.
"Hast eben noch nicht die leckersten Stellen an mir probiert."
Das könnte sich nun den Tag lang so weiterhin rauf und runter schaukeln. Dazu bin ich aber zu pflichtbewusst, will weiterkommen, sage sanft:"Such die Spritze zur Insektenvernichtung."
Vielleicht denkt er, ich spreche zum Hund, brummt: "Such selber, du bist hier die Hausfrau!"
Ich muss mich schon wieder beschweren: "Was heißt - Hausfrau? Vor allem bin ich - Künstlerin, - haste wohl schon ganz vergessen. Und kann nicht auf allen Gebieten großartig sein. Genügt doch wohl, dass ich mein Spezialgebiet zu bearbeiten versteh."
Mein Holder lacht schallend auf, dabei sind die auf dem Fernsehschirm gerade auf einem Friedhof,und alle weinen ganz fürchterlich.
Aber - so ist der Mann, den ich liebe, eben genau das Gegenteil vom Normalen. Er ist wie ein aufgewärmter Frigidaire. Und ich soll das alles aushalten.
Er fragt: "Zeig mal, auf welchem Gebiet du Spezialistin bist."
Wir sind nie richtig im Gleichgewicht, sagt er hü, muss ich hott sagen, oder umgekehrt. Was er jetzt hören möchte, weiß ich genau, aber nun hab ich keine Lust mehr. Verhalte mich kühl.
"Du wirst mir doch zustimmen, wenn ich sage, unser Künstlerhaushalt ist besser in Schwung als der von deiner Trudlbas oder anderen sogenannten tollen Hausfrauen..."
Hätte ich doch jetzt bloß keinen Blick in sein Gesicht getan Seine Augen... Er sagt: "Na, davon musste mich erst mal überzeugen, ich meine, vom Schwung..."

Er streichelt mich: "Heul doch nicht immer dabei. Oder weinste, weil die Laus inzwischen die Rose angefressen hat
und wir keine Liebeslaube mehr haben? Im Bett isses eigentlich doch bequemer."

Der Holde hat ja recht. Er ist der klügste Mann auf der Welt. Das sag ich ihm, aber er wehrt bescheiden ab: "Ach, du bist mein Dummerle!"
Das reisst mich schon wieder aus meinen Träumen.
"Ach so, du meinst, ich wäre so dämlich, dass auch ein Halbidiot für mich die Klugheit in Person verkörpert?"
Es wäre wieder eskaliert, denn den Halbidioten hätte er sich nicht zur Revanche entgehen lassen. Ich bin sicher. Aber da hör ich Geschrei von Klausi aus der ersten Ehe vom Holden, nein, aus´m Keller: "Welcher Blödmann hat denn die Läusepritze anstelle der Fahrradpumpe an meinen Drahtesel gebunden? Jetzt hab ich Wasser im Schlauch, so ein Mist..."
Ich muss den Kopf schütteln. Was für ein undankbarer Junge. Viele Menschen wären froh, statt Luft reines klares Wasser zu bekommen. Dann funkt es bei mir.
Fahrradpumpe, Läusespritze!
Ich haue begeistert dem Holden vor die Brust, stürz zum Fenster und brülle: "Junge, hatte so ne Stinkwut auf dich, weilde alles rumliegen lässt. Da hab ich gedacht, das sei die Luftpumpe und hab sie dir an Ort und Stelle ange- bracht, wie es sich gehört, - damitte weißt, dass alles seine Ordnung haben muss. Und - nu isse also wieder da, wir haben se gefunden, die Spritze. Das kannste Vatern sagen, unser Haushalt is tip-top in Ordnung, findt sich alles wieder."

Der Holde hat seiner Mannespflicht Genüge getan, er kehrt zum Fernseher zurück. Jetzt gibts da eine Geburtstagsfeier zu sehen. Ich geh in´n Keller und hol die Läusespritze und werd´s Ungeziefer erledigen. Dabei entwickelt sich meine philosophische Ader. Schon komisch, manche Spritze schafft neues Leben, ´ne andere machts wieder kaputt. Die Rose wird aufatmen, wird ausschlagen, Knospen aufbrechen lassen, wird duften und sich doch zur Liebeslaube umfunktionieren lassen, wenngleich manches Tun sich in ihr ein bisschen unbequemer anfühlt.
Bin sehr zufrieden mit dem Tag und mit mir, singe vor mich hin. Der Holde sitzt vorm Fernseher, der einen schwarzen Bildschirm zeigt, und schläft. Der Junge fummelt mit seinem Schlauch, der die Flüssigkeit loswerden will, und ich spritze und singe. Die Nazis haben wahrscheinlich auch gesungen dabei... Man wird von Zufriedenheit durchdrungen , sobald man sich von etwas Unnützem zu befreien versteht.
Wie gut, dass ich nichts Unnützes bin. Man stelle sich vor, als Jude geboren zu werden...und feststellen zu müssen, dass man nicht mehr wert ist als eine Laus...Dann wär man plötzlich weg vom Fenster...Tja.
Was täte der Holde ohne mich?
Von den Blättern tropft das Gift, ich tropf vom Holden, überlege mir: "Pille ja - Pille nein."
Was, wenn der Junge im Keller ein Geschwister bekäm, dem er dann beibringt, wie Mutter ihn gelehrt hat, Ordnung zu halten. Mein kleiner Nachkömmling könnte im Schatten der prächtigen Rosensträucher spielen.
Sogar die Nachbarn würden sagen: "Glückliche Familie, diese Künstlers! Scheint alles zu stimmen, sind beinahe zu beneiden."

Kein übler Gedanke, es den anderen zu zeigen, wie man sich ein Glück schafft. Neid von anderen ist die beste Voraussetzung für die eigene Zufriedenheit, das eigene Wohlbefinden, sogar wenn´s mit Unbequemlichkeit verbunden ist.
Oder meinen Sie, ein Kind für ´ne Frau wie mich wäre bequem?
Da kennen Sie Künstler´s aber schlecht.

 

Kontakt zur Autorin Tilly Boesche-Zacharow:  tilly-boesche-zacharow@t-online.de
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