Weiss (Auszug aus dem 1. Buch)

 

25. November, Birdy 

Johnny Short war Abschaum. Birdy musste lächeln, als er ihn sah.

„Birdy, was treibt Dich in meine Gosse?“ Er hielt ihm seine linke Hand zum Gruß, denn drei Finger seiner rechten fehlten.

„Johnny, ich bin wieder im Geschäft und brauche ein paar Kleinigkeiten.“

„Birdy, Du weißt, ich habe alles im Angebot, was sich der normal Wahnsinnige wünscht! Immer und sofort.“ Johnny Short bekam einen fünfminütigen Lachanfall, der sich nach dem Höhepunkt einer Orgie im Irrenhaus anhörte.

Birdy reichte Johnny Short Bild und Adresse der in Bälde Toten. „Ich will einfach alles über sie wissen. Selbst, welche Tamponmarke Sie benützt.“

Sie ließen sich einen Speedball von einer Thai-Nutte fixen und lächelten sich am Rand des Schwimmbads zu wie kleine Jungs, die ihr erstes Eis gestohlen hatten. Hier fühlte sich Birdy zuhause. Durch die überwältigende Verkommenheit Johnnys und in Verbindung mit den exquisiten Chemikalien, vergaß er, dass er überhaupt am Leben war.

Die Thai-Nutte machte sich an seinem Schwanz zu schaffen und er hörte im Nebel, wie Johnny telefonisch Aufträge erteilte.

 

 

31. Dezember, Richard

 

Ein Lächeln schien sein Gesicht wie ein Streifschuss, der eigentlich nicht seiner Person galt, zu treffen.

Er griff in die Tasche seiner Lederjacke nach seinem Handy. Der Schneesturm machte es ihm fast unmöglich, die Nachricht zu lesen, die er gerade empfangen hatte.

Als er es dennoch geschafft hatte, bemerkte er eine Träne, die versuchte, über seine linke Backenseite zu flüchten, und den Boden zu erreichen, um sich dort mit dem Pulverschnee, der über das Dach des achtundsechzigsten Stocks wehte, zu vereinigen oder wenigstens dort Exil zu finden. Er schloss seine Augen für einen Moment.

Dann hörte er einen leisen Pfiff und drehte sich um.

Sie saßen beide an einem Tisch, auf dessen Mitte er einen Haufen roter Pokerchips liegen sah.

Einer der beiden winkte ihn zu sich. Das Schneegestöber wurde stärker und der Schnee blieb auf den Jacken der am Tisch sitzenden liegen, als wären es Berghänge im Himalaya.

„Richard, Deine Show ist vorbei!“, hörte er eine tiefe Stimme sagen. „Dein Job ist getan! Setz´ Dich zu uns und spiel ´ne Runde!“

Eine Hälfte der Dachterrasse verwandelte sich in ein Wasserbecken und er sah zwei Delphinflossen, die synchron auf der zweihundertfünfzig Meter langen Bahn an der Außenseite des Gebäudes entlangzogen.

Eine tiefliegende Pokerlampe hing aus dem Nichts heraus über dem, mit grünem Samt bespannten Tisch.

„Na, setz´ Dich endlich, Du verdammte Nervensäge!“, sagte die Stimme nun mit etwas mehr Nachdruck.

Die Delphine sprangen drei Meter hinter ihm aus dem Wasser und gaben eine Pirouette zum Besten. Als sie wieder in das Wasser eindrangen, spritzte eine Miniflutwelle über den Pokertisch und färbte den grünen Samt schwarz.

„Sie machen sich!“, sagte eine andere Stimme, als handelte es sich bei den Delphinen um Erstklässer, die nach und nach die Buchstaben des Alphabetes eroberten. Richard hasste den Besitzer dieser Stimme von ganzem Herzen und er wusste, dass dessen Gegenüber die gleichen Empfindungen für ihn hegte.

Jeder hier am Tisch wusste zuviel vom anderen. Eigentlich alles. Ein Außenstehender hätte zu der Schlussfolgerung gelangen können, dieser Umstand hätte die Situation – sofern hier tatsächlich so etwas wie eine Situation existierte – nicht eskalieren lassen. Doch dem war nicht so.

 

Kontakt zum Autor. Andy Brenner:  brenner.boll@freenet.de

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