Milchkaffee unter den Markisen

I
 
ich umwickle meinen
Zeigefinger mit einem
Schnürsenkel, er dunkelt
wie eine aufgerührte Pfütze
in der Mitte des Zimmers
singen sie, heute hat
Katrin eingepisst, fein
es passiert nicht nur mir
 
II
 
stickig heiß
warme Grashalme
die Markisen glühten
in Streifen Orange Weiß und Braun
 
Kaltschale in Plastetellern
Gänseblümchen auf der Wiese
Sand rieselte trocken
alte Frauen rochen nach Schweiß
alle liebten Sommer
 
abgestandener Pfefferminztee
Feldflasche aus Plaste
Stefan zerriss Regenwürmer
 
III
 
sie versprachen eine
Märchenschau
irgendwas Grimmiges
Rotkäppchen oder so und die
Erzieherinnen kippten den Sekt
wurden übermütig, ausufernd
krakeelend eröffneten sie das Spiel
 
die Handlung lief aus dem Ruder
kippte wie ein Kreisel, sie
improvisierten, der Text war falsch
ich kannte den Text
dieser war falsch, niemand hörte mir zu
die Kinder schrien begeistert
unter mir bebte die Erde
bedrohlich wild, das kannte ich
aber der Ablauf war chaotisch
 
ich versank in einem grauen Strudel
schlingernder Furcht/ vermutete
das Schlimmste
was? was? Schluss!
wenn der Vater kommt!
sinken oder singen?
Fink oder Spatz oder Sperling?
Übelkeit, doch ich zwang mich
aufrecht, das Kotzen abklemmend
mit Schmerz, schwitzend, mich
festklammernd an der Sitzfläche
aus Holz mit den schartigen Rändern
es rauchte gefährlich, taube Masse
die Kinder kreischten und schrien
und in dem ausgelassenen Krach war ich
völlig allein und übel dran
es steigerte sich, dauerte gut
zwei Stunden
meine Mutter holte mich ab
ich saß da und weinte
die Erzieherinnen winkten
bloß ab: „pffff
ach, der“
 
IV
 
Hülsenfrüchte
in Suppen
Erbsen Bohnen Linsen
grün grau braun
teigig süßlich ohne Fleisch
ich hasste diese Suppen und
gekettet an ihren Geruch
hängen die Bilder:
alte Frauen, Essenszimmer
sächsischer Dialekt
Schuhe vor den Bänken
paarweise
rote Fahnen der SU
es war damals enger
und wärmer.

 

Kontakt zum Autor:  teufelschnaps@gmx.de
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