Aufforstung meiner Wohnung

Anfangs hatte ich den Blumen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, sie gerade nur ziemlich regelmäßig begossen. Er waren auch nur einige heruntergekommen Töpfe in der ziemlich leer gewordenen Wohnung übrig geblieben, und mitten im Winter konnte man wenig Freude an ihnen haben. Immerhin waren sie grün, was irgend etwas zu bedeuten schien. Daß sie am Leben waren zumindest.  

Als die Tage wieder länger wurden, war es mir angenehm, daß ich gleich etwas zu tun hatte, wenn ich am späten Nachmittag in die hallenden Räume zurückkam, die Gießkanne ergreifen und erst einmal die unterschiedlichen Töpfe auf den Fensterbänken versorgen konnte. Das schien mir die Berechtigung dafür etwas zu verstärken, in den vielen Zimmern, die fast ohne Möbel waren, allein leben zu dürfen. Ich entfernte welke Blätter und sah mir die eine oder andere Pflanze etwas genauer an, versuchte festzustellen, wo wohl demnächst neue Triebe zu erwarten waren. 

Schließlich flammte eine Hibiskusblüte auf, und seitdem kümmerte ich mich immer intensiver um die Blumen, düngte sie und versuchte die Blattläuse mit einem Spray zu bekämpfen, was aber immer nur vorübergehend von Erfolg gekrönt war. Ich besorgte mir Primeln und bepflanzte die Balkonkästen, deren Erde im Winter ganz grau geworden war und die ich erst einmal mit einem viel zu kleinen Löffel umgraben mußte. 

Als ich die Gardenie erwarb, die mit ihrem schweren Duft eine ganz neue Note in die Wohnung brachte, hatte ich schon ein regelrechtes Aufforstungsprogramm beschlossen. Ich schnitt den übermäßig lang aufgeschossenen Oleandersproß in der Mitte ab, was zur Folge hatte, daß er in den nächsten Tagen an mehreren Stellen ausschlug und langsam ganz ansehnlich wurde. Den abgeschnittenen Teil steckte ich in ein Wasserglas und wartete auf Wurzelbildung. Ich hatte es anfangs vermehrt auf exotische Pflanzen abgesehen, womit ich offensichtlich den Fehlschlag wettmachen wollte, der mir mit einem Avocadogewächs passiert war. Das schoß zunächst aus einem großen Kern üppig auf, hatte dann aber trotz aller Bemühungen seine Blätter wieder verloren und fristete als immer noch grüner Stab sein kümmerliches Dasein in der Abseite, weil ich mich nicht zum Wegwerfen entschließen konnte. Ich steckte Kaffeebohnen in einen ständig naß gehaltenen Topf, versuchte mich auch an der Aussaat von Kakteensamen.

Kam ich jetzt nach Haus, überzeugte ich mich erst einmal davon, ob die Blüten des Hibiskus und der Gardenie vorankamen, ob die neuen Triebe des Oleanders wuchsen und wie die Pflanzen, die ich vor dem Weggehen natürlich nicht zu gießen vergaß, die starke Sonneneinstrahlung über Tag vertragen hatten. 

Meine kleinen Rückschläge – natürlich gingen die gerösteten Kaffeebohnen nie auf, und auch aus den Samen der Kakteen kam nichts hervor – konnten mich auf Dauer nicht entmutigen, verstärkten eher mein Bestreben, in meinen kahlen Räumen für mehr Grün zu sorgen. Für mehr Leben, sagte ich mir auf meinen Gängen zur Firma und zurück in meine Wohnung, wo mich der Duft der Gardenie freundlich begrüßte und eine neue Hibiskusblüte mich anlachte. 

Jedes Mal brachte ich eine neue Pflanze mit, und die Fensterbänke waren längst überfüllt, so daß ich die Töpfe in den drei vorderen Zimmern, die nach Süden ausgerichtet waren, auf dem Fußboden in Reih und Glied anordnete. Ich ließ Gänge kreuz und quer frei, damit ich das regelmäßige Gießen besorgen konnte, das jetzt schon einige Zeit in Anspruch nahm und zugleich mein Merkvermögen schulte, denn wenn die eine Pflanze täglich kräftig gewässert werden wollte, so war eine solche Behandlung für die nächste geradezu Gift. 

Ich hatte da schon gelernt, einige Anfängerfehler zu vermeiden, vor allem die Gleichbehandlung aller Pflanzen aus mißverstandenem Gerechtigkeitsgefühl. Einige brauchten nicht nur mehr Wasser als andere, sie brauchten auch deutlich mehr Zuwendung. Von der modischen Ansicht, daß man mit seinen Blumen sprechen sollte, um ihr Gedeihen zu fördern, hielt ich jedoch überhaupt nichts, sprach sie allerdings mit ihren Namen an, wenn ich mit der Gießkanne durch die nun schon stattlichen Reihen ging und meinen Wassersegen spendete. Auf die Weise stellte ich fest, daß der Halleffekt in meiner Wohnung sehr zurückgegangen war, es sich fortlaufend bewohnter in ihr anhörte. Auch meine eigene Stimme klang nicht nur fester, sondern geradezu vertrauenerweckend, fand ich. 

Der entscheidende Qualitätssprung gelang mir, als ich mich den hinteren Räumen zuwandte, wo die Lichtverhältnisse wesentlich schlechter als in den vorderen waren. Durch Lektüre der entsprechenden Fachliteratur hatte ich herausgefunden, daß es auch genügsamere Pflanzen gab, die nicht auf helle Sonne und starke Strahlung versessen waren, sich aber trotzdem gut entwickelten, wenn nur die übrigen Wachstumsbedingungen stimmten. Es dauerte gar nicht lange, bis in meiner ehemaligen Bibliothek, die ihrer Regalwände völlig entkleidet war, in großen Kübeln eine üppige Flora ihren Lebensraum erfüllte und von ferne an ein Gewächshaus denken ließ, in dem trockene Bücher nun wirklich nichts mehr verloren hatten. 

Ähnlich sah es in meinem Schlafzimmer aus, wo ich durch rankende Gewächse hindurchsteigen mußte, um zur großen Bettstatt zu gelangen, die sich freilich wie ein blasser Fremdkörper in all dem satten Grün ausnahm. Nur die Küche, mein Bad und den langen Flur hatte ich sparsamer mit Pflanzen ausgestattet, achtete streng darauf, daß noch ein schmaler Weg in diesen hinteren Teil meiner Wohnung frei blieb. 

Ich stand jetzt viel zeitiger als früher auf, machte mich gleich ans Gießen, ans Wegschneiden verdorrter Triebe oder das Ausjäten unerwünschter Schmarotzerpflanzen, vergaß natürlich auch das Düngen nach den unterschiedlichsten Rezepturen nicht. Das erforderte seine Zeit, und ich kam nicht selten abgehetzt im Büro an, mußte mir den Wecker deshalb nach und nach immer früher stellen. Aber ich wurde dadurch entschädigt, daß meine Kollegen mir immer häufiger bestätigten, wie blühend ich seit einiger Zeit aussähe. Es war auch wirklich eine große Freude, die Wachstumsperioden meines Pflanzenparks zu verfolgen, ihrem Jahresrhythmus immer auf der Spur zu sein. Und wenn dann die Zeit gekommen war, daß mich wieder der Duft der Gardenie begrüßte und eine neue Hibiskusblüte mich anlachte, wenn das grüne Leben um mich herum seinen Höhepunkt erreichte, dann wußte ich, daß ich alles richtig gemacht hatte.
 

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