Der alltägliche Wahnsinn

Ich fahre einfach nur so rum, hab ja sonst nichts zu tun. Aus dem Radio kommt Elvis und schnulzt sich einen ab. Früher habe ich Elvis gern gehört, naja, die Zeiten ändern sich. Heute wünsche ich mir lieber Joe Cocker, das alte Rauhbein.

Ich fummle am Radio rum und suche mir einen anderen Sender. SAW wäre mir recht, die blödeln immer so schön rum und verarschen die Hörer. Es dauert ´ne Weile, bevor ich es finde. Kann mir einfach die Frequenz nicht merken.

Marie räkelt sich auf ihrem Sitz und macht keine Anstalten, mir zu helfen. Soll sie sich doch ausruhen, die Kleine, hat genug um die Ohren.

Sie fährt gerne mit mir rum, weil wir immer was nettes erleben.

Ich steuere meine Lieblingstankstelle an. Ich mag die Kassiererin, die hier manchmal arbeitet. Sie hat immer ein Lächeln für mich übrig, wir kennen uns von früher. Sie hat damals mitgekriegt, wie mich meine Mutter rausgeschmissen hat, sie wohnte nämlich im selben Haus. Ich war noch ziemlich jung damals und hatte beschlossen zu heiraten. Das ging zu der Zeit ziemlich fix. Man mußte sich nur irgendwo anmelden, bekam einen Termin und tat es. Das war´s dann auch schon. Danach haben wir uns einen schönen Urlaub gegönnt. Wir hatten bloß vergessen, unsere Angehörigen zu informieren. Die haben bloß ein paar Ansichtskarten gekriegt, da stand ja alles drauf. Uns hat´s genügt, ehrlich. Nur meine Mutter hatte es irgendwie nicht geschnallt. Als ich nach Hause kam, brauchte ich bloß noch meine wichtigsten Sachen schnappen, und dann flog ich raus. Sie hatte nie viele Worte gemacht.

Ein paar Tage habe ich mit im Internat gewohnt, das war aber auch nicht so toll. Sie haben uns dann dieses Kellerzimmer überlassen, zwanzig Mark Miete inklusive Heizung und Kellerbad. Das war ein prima Zimmer, jeder konnte da reinschneien, wie er wollte. Ich weiß noch, wie ich eines Nachts aufwachte und dieser kastrierte fette Kater lag auf meinem Bauch. Er hat mir richtig die Luft abgepreßt, so fett war der.

"Willst du mit rein?" frage ich Marie.
"Klar, wenn du ´n Eis spendierst."
Ich sehe schon durch die Scheibe, wer an der Kasse steht. Leider nicht meine Jugendliebe.
"Paß auf," sage ich, "das ist ´ne Zicke!"
Als wir reinkommen ist gerade irgendwas im Gange. Eine alte Dame hatte beschlossen, heute mal mit Karte zu bezahlen. Etwas hilflos steht sie vor diesem Ding, wo man seine Kennzahl eingeben muß.
"Sollten wir es vielleicht noch mal versuchen, ich glaube, ich habe die Zahl falsch eingegeben?" ruft sie der Kassiererin zu.
"Nein, das geht jetzt nicht," sagt sie bockig, "warten sie doch erst mal die Zeit ab."

Die Kassiererin sieht ziemlich gut aus. Bloß ihr Schmollmund will einfach nicht zu ihrem süßen Gesicht passen. Ich frage mich nur, wo die hübschen kleinen Blondinen immer ihren Grips verlieren. Ob er ihnen beim Pinkeln ins Klo fällt?
Die alte Dame sieht mich kurz an, als könnte ich ihr da helfen. Mein Blick macht sie verlegen. Deswegen schaut sie jetzt nach draußen und wartet. Irgendwann hat es geklappt und sie kann ihre Karte wieder raus nehmen.
"Na sehen sie, ging doch ganz einfach." meint die Blondine.
Die alte Dame errötet wie ein ertapptes Schulmädchen und macht, daß sie rauskommt. Sie tut mir leid. Wahrscheinlich ist sie als junges Mädchen noch mit einem Rucksack voll Inflationsgeld früh morgens zum Bäcker gegangen, um Brötchen zu kaufen. Sie hat keine Ahnung von Plastikgeld, sie wollte nur mal sehen, wie das geht.

An der Kasse steht: "Verkauf ohne Bon."
An der Eistruhe steht Marie.
Ich beschließe, meinen Wochenendeinkauf zu machen.
"Die acht." sage ich.
"Achtundvierzigdreiundneunzig." sagt die Blondine.
Ich zücke mein Geld, dann fällt mir noch was ein.
Ich bestelle Zigaretten. Sie hämmert irgendwas in die Tastatur und legt mir die Zigaretten hin.
"Ich sagte aber drei, nicht zwei."
"Ach ja?", sie hämmert wieder auf ihrer Tastatur rum.
"Shit, jetzt habe ich das Bier vergessen." sage ich.
Ich gehe los und schnappe mir ein Six-Pack, stelle es auf den Tresen. Die Blondine ist schon auf Achtzig!
Das Bier wird eingetippt. Ich bezahle.
Marie meint, es wäre nun genug und kommt mit ihrem Eis.
"Hey Paps, wolltest du mich nicht einladen?"
Sie lächelt mich unschuldig an.
"Ach ja, das Eis noch." sage ich. Die Blondine hämmert wieder los, ich bezahle auch noch das Eis.
Während sie das Wechselgeld rausgibt, betrachte ich mir Maries Eis. Es ist eins von diesen großen Schokodingern mit Nüssen drauf.
"Marie, tu mir den Gefallen und hol´ mir auch so eins."
Marie stiefelt los und holt das Eis für mich, die Blondine würde am liebsten über den Tresen springen und mich ermorden. Sie hämmert los, ich bezahle, wie gehabt!
Marie lächelt und stubst mich an.
"Ach so," sage ich, bevor wir gehen, "ich brauche eine Quittung."
Das arme Blondchen ist nicht mehr Herr ihrer Sinne.
"Das sind jetzt aber sechs Bons!" schreit sie mich an.
"Das macht nichts," sage ich, "ich nehm´ sie alle mit."
Die Blondine programmiert mal eben ihre Kasse um, was eine ganze Weile dauert, weil sie nicht mehr genau weiß, welche Tasten sie drücken muß. Schließlich quälen sich sechs Bons aus dem Drucker.
Marie macht sich gerade am Zeitungsstand zu schaffen.
"Laß gut sein," murmele ich, "die hat genug für heute." Marie lächelt mich an.
Wir haben heute die alte Dame gerächt.

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