Acht Tage nach Walpurgis

Es war einige Zeit nach Walpurgis. Genauer gesagt acht Tage später. Ich hatte den Japaner vollgepackt mit Fressalien, Antonia und den Kindern. Vor mir lag die beschwerliche Tour ins Harzer Land, wir wollten die Großeltern besuchen, dazu noch die Schwiegereltern und die Schwägerin. Das entwickelte sich immer zu einer Harz-Rundreise, weil sich alles in verschiedenen Orten abspielt. Ein Krankenhaus in Blankenburg, ein Altersheim in Allrode und der Rest der Familie in Hayn.
Natürlich handelte es sich um Antonias Familie, meine eigene Familie hatte ich schon jahrelang nicht mehr besucht, obwohl sie alle in der selben Dreckstadt leben, wie ich.
Ich weiß nicht, ob es die penetrante Nähe ist, die mich davon abhält, meine Familie zu besuchen, oder einfach bloß die Nörgeleien wie: "Warum kommst du nicht mal vorbei...", obwohl sie es alle genausoweit wie ich haben. Also ich mache bestimmt nicht den ersten Schritt, dazu bin ich viel zu stolz.
Der Japaner fuhr flott voran und auch die Berge konnten ihm nichts anhaben. Wir beschlossen, die Mittagspause auf dem Hexentanzplatz bei Thale zu verbringen. Im Unterharz war das Wetter noch ganz passabel, aber je höher wir kamen, um so dunkler wurde es.
Oben auf dem Hexentanzplatz herrschte ein Sauwetter. Die Wolken schoben sich zu einer kompakten Masse zusammen und verdunkelten den Himmel, daß es beinahe so aussah wie das Raumschiff beim "Intependence Day". Die Sonne mühte sich damit ab, über der Wolke hervorzulugen, schaffte es aber nicht ganz, so daß am Ende nur noch die schwarze Regenwolke dominierte und uns in eine Gaststätte flüchten ließ.
Das Lokal hieß "Schatzinsel". Nanu dachte ich, ´ne Seemannskneipe oben auf dem Berg? Es stellte sich aber heraus, daß es eine dieser alternativen Gaststätten war, die es jetzt überall gibt, bei uns zu Hause gibt es ja mittlerweile auch solche Dinge wie das Brot-Lokal oder die Kartoffel-Kneipe. Ich hatte nur nicht erwartet, so was hier oben in den Bergen vorzufinden.
Als wir reinkamen, sahen wir zuerst den Papagei da sitzen. Sie hatten ihm ein Schild mit "Kapitän Flint" an den Käfig gemacht. Er kreischte auch gleich los: "Markstücke! Markstücke!" und pöbelte uns an, als wir vorbeigingen. Mag sein, daß sie dort auch einen einbeinigen Koch hatten, er ließ sich aber nicht blicken, aus Angst vor der Polizei.
Die Speisekarte las sich wie ein exotisches Kochbuch. Da gab es Schnittenbrot mit Speckgrätenpürree, Himbeer-Mais auf Apfeltoast und gegrilltes Eisbären-Filet mit Bitumen-Sauce, welche mit einem Schuß Hühnerpisse abgeschmeckt wurde. Ich suchte mir eine Gurkensoljanka aus und danach einen leckeren Eisvogel-Salat. Als Aperitif bot man uns den herrlichen Grünkern-Wein an. Antonia bestellte sich die Entenschnabelsuppe mit Rosenblättern. Und die Kids? Da brauchte ich nicht lange zu fragen, sie wollten ihre übliche Portion Seetang-Pommes mit Kümmel-Ketchup.
Obwohl es eine Selbstbedienungs-Gaststätte war, brachten sie uns das Zeug an den Tisch, wahrscheinlich befürchteten sie, daß die Kids ihre Pommes-Teller nicht bis zu unserem Tisch bringen konnten, ohne sie zu zerschmeißen. Vielleicht hatten sie aber auch bloß Angst davor, daß ich mein Pfefferminz-Bier nicht schadlos transportieren konnte, denn ich hatte noch ziemlich viel Schlagseite vom vorigen Abend. Das Bier jedenfalls war gut, die Kids besichtigten natürlich die sanitären Anlagen und von meinem Tisch aus hatte ich eine prima Aussicht auf die nackte Person da draußen, die wohl eine Hexe war und sich überaus lasziv den Besuchern präsentierte. Ich nahm mir vor, sie nachher mal zu fotografieren.
Nach dem Essen nervten mich die Kids, es war nicht zum Aushalten.
"Können wir nicht noch einen Eisbecher essen? Wir essen auch alles auf."
Und so weiter. Ihre Augen leuchteten mich an und sie hatten ihr nettestes Lächeln aufgesetzt. In solchen Momenten sehen sie aus wie kleine Engel, und mal im Ernst, wer kann solchen Augen schon irgend etwas abschlagen?
"Warum nicht," sagte ich schließlich und bestellte für sie zwei Schierlings-Becher. Danach waren sie die glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt. Und ich, ehrlich gesagt auch, als ich sie so anschaute. Sie haben auch fast nicht gekleckert.
Während sie so vor sich hin schlemmten, nippte ich immer mal wieder an meinem Bier und schaute nach draußen. Antonia behandelte mich die ganze Zeit wie Luft, was blieb mir also anderes übrig. Das Hexenweib hatte es mir angetan und wie gesagt, von meinem Platz aus konnte ich sie hervorragend beobachten. Sie beugte sich vor, stützte ihre Hände auf einen riesigen Felsbrocken und versuchte ihn wegzurollen. Stand einfach so da und reckte ihren Arsch in die Höhe, während ihre Titten auf dem Stein zu liegen kamen. Irgendwie kam mir das bekannt vor. Leider war sie nicht aus Fleisch und Blut, sondern eher bloß aus Messing oder Bronze, ich kenne mich da nicht so aus. An den Füßen hatte sie einfache Latschen mit einer Schnalle und ins Haar hatte sie sich eine Giftschlange gebunden, wie es sich für zünftige Hexen gehört.
Am Nebentisch saß eine Horde Motorradfahrer und philosophierte lautstark über Maschinen, Straßenverhältnisse und über Gott und die Welt. Auch das Wetter wurde erwähnt, klar, es war ja heute nicht unbedingt Motorrad-Wetter. Ich freute mich, daß ich mich nachher in meinen Japaner setzen konnte und trocken blieb. "Ob das hier irgend was mittelalterliches ist?", sinnierte einer von ihnen. "Das muß doch irgendwas zu bedeuten haben." Typisch Wessi, dachte ich bei mir. Fährt mit seiner Meute irgendwohin und hat am Ende keine Ahnung, wo er sich überhaupt befindet. Dabei sticht es einem fast ins Auge, daß der Steinkreis mit der Hexen-Skulptur erst irgendwann in den Neunzigern entstanden ist. Glücklicherweise rüsteten sie bald zum Aufbruch, indem sie sich ihre Lederjacken, Lendenschurze und Stiefel anzogen und die schwarzen Bälle aufstülpten. Daß es draußen noch regnete, fanden sie allerdings nicht so toll, aber schließlich konnten sie ja nicht ewig hier hocken bleiben. Es war nicht eine der üblichen jugendlichen Rocker-Banden. Es waren die romantischen Mittvierziger, die ihr Geld für den Traum vom Easy-Rider ausgegeben hatten, mit ihren Motorrädern durch die Welt rasten und meinten, das wäre der Sinn des Lebens. Nur daß sie bloß noch fahren und fahren konnten, ohne irgendwo wirklich anzukommen. Ist schon schade, solche Leute zu sehen, die eigentlich alles haben, was sie glücklich machen könnte, aber im Grunde viel zu oberflächlich sind, um dem Ganzen noch einen Sinn abzugewinnen. Und dann spielte ihnen auch noch das Wetter übel mit. Arme Menschen. Mir war´s egal, ich hatte ja einen Schirm dabei. Draußen gab es erst mal Zoff mit Antonia, weil sie meinte, die Kids müßten unbedingt jetzt gleich, wenn nicht gar sofort, mit dem Kindermotorrad fahren, während ich lieber erst zum Aussichtspunkt gegangen wäre. Sie hätten auf dem Rückweg immer noch mit dem Motorrad fahren können. Ging aber nicht, schließlich ist Antonia eine starke Person und setzt sich gern durch. Da ich auch eine starke Person bin und keinen Streit in der Öffentlichkeit anfangen wollte, ging ich allein zum Aussichtspunkt und schaute mir die Schwebebahn an. Trotz des Regens war die Aussicht recht gut, glücklicherweise hatte ich meinen Schirm dabei. Als ich zurück kam, drehte Robert gerade seine letzte Runde. Antonia wollte nun unbedingt zum Aussichtspunkt, während ich darauf brannte, die Hexe zu fotografieren. Ich habe keine Ahnung, warum wir es uns immer so schwer machten. Komplizierter ging´s ja wohl kaum. Sie vermachte mir die Kinder für eine Weile und zottelte los. Den Kids machte es Spaß, auf dem Steinkreis herumzuklettern, denn außer der Hexe war da noch ein ekliger Teufel, dem sie unbedingt mal an den Schwanz fassen wollten. Das war aber eine elende Kletterei, weil der Teufel ziemlich weit oben saß. Die Hexe war aber nach wie vor der Publikumsrenner, wahrscheinlich deshalb, weil sie auf ebener Erde stand, zwar einbetoniert, aber immerhin für alle greifbar. Einige gutgelaunte Touristen machten sich den Spaß und stellten sich in eindeutiger Pose hinter den Arsch der Hexe, griffen ihr an die Brust und ließen sich von ihren Frauen so fotografieren. Ein paar alte Weiber bewunderten zwar die Skulptur, wurden aber nicht recht schlau daraus und fragten mich, was sie denn darstellen sollte. Als ich ihnen sagte, das sei eine Hexe, zuckten sie nur mit den Schultern und machten, daß sie weg kamen. Ich vermutete, daß sie nur blöde alte Schachteln waren, die sich irgendwann einmal ein Bild von der besenreitenden Hexe in der Kittelschürze gemacht hatten. Wahrscheinlich hatten sie noch nie davon gehört, daß in den Zeiten der Inquisition leichtlebige Mädchen gerne von neidischen Nachbarinnen angezeigt, als Hexen verschrien und leider auch manchmal verbrannt wurden. Die hatten schon komische Sitten damals. Die Fotografiererei war mir bald leid und ich beeilte mich, die Kids von dem Teufel wegzujagen. Einige Leute lachten nämlich schon hämisch , weil meine Kleinen dem Teufel an den verkehrten Schwanz griffen, was mir dann doch zu weit ging. Ich hielt Ausschau nach Antonia, weil ich unbedingt hier weg wollte. Das Wetter war einfach zu ungemütlich. Als sie kam, giftete sie mich noch eine weitere Runde an, war aber wohl selber froh, als ich ihr anbot, uns in das gemütliche Auto zu setzen, um weiter zu fahren. Der Rest des Tages war nicht annähernd so interessant wie bisher, so daß ich die Kamera stecken ließ. Wir schafften es noch, sie alle zu besuchen, aber es war öde wie immer und ich bedauerte einen weiteren verschenkten Tag in meinem Leben. Auf der Heimfahrt sind die Kids eingeschlafen und Antonia langweilte sich. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen, worüber ich sehr froh war, weil ich mich dann besser aufs Fahren konzentrieren konnte. Sinnlose Labereien sind sowieso nicht mein Fall. Ich trat flott auf´s Gas und schaffte einen neuen Rekord. Der Japaner war um einiges besser als die russische Schrottkarre, die wir nun schon eine Weile los waren. Nur der klitzekleine Aschenbecher nervt mich wohl bis an des Autos Ende.

Copyright © 1997, Foerster
Alle Rechte vorbehalten
zurück zu Foerster zurück zur Startseite