Email an mich


„Du bist ein toller Schriftsteller. Ich lese Dich unheimlich gerne.“)

Email als Antwort:

„Thanks, Lady, aber ich bin nur ein gnadenloser Schwätzer der gerne erzählt und das lieber schriftlich macht. Mit Lyrik und Prosa hat das nichts zu tun.“


Ich war fast vierzig und er vierundzwanzig. Trotz des Altersunterschiedes lagen wir auf einer Wellenlänge und ich konnte ihn gut leiden. Zehn Jahre später habe ich erfahren, das er andauernd meine Alte gevögelt hat. Wahrscheinlich kniet er heute noch zwischen den Futlappen meiner Geschiedenen, leckt ihr den Kitzler wund und seine Zunge kreist regelmäßig um ihre Arschrosettenhaare. Heute für mich so interessant wie eine siebenseitige Wasserstandsmeldung vom Bodensee oder die Neujahrsansprache eines skandinavischen Ministerpräsidenten mit arabischen Untertiteln. Aber damals malte ich mir aus, wie es wäre, wenn der Typ einem tollwütigen Pitbull die Eier kraulen und den Schwanz blasen muß, ich drücke ihm eine Knarre ins Genick, in der anderen Hand kralle ich einen Drink, süffel ihn aus, stelle das Glas weg und öffne den Maulkorb von dem Vieh, dem schon der Schleim an den Lefzen runterläuft. Racheträume kleiner Jungs in alt gewordenem Gewand.
Die Kneipe die ich damals hatte, wurde nur von Rockern, Kiffern, Punks, Obdachlosen und den Bullen frequentiert. Letztere kamen einmal wöchentlich und machten Razzia bei mir.
Die Drogen und auch kleineres Diebesgut (Schmuck und solche Dinge), welches mir anvertraut wurde, versteckte ich in meinem Terrarium, das mitten im Lokal stand. Die Wächter waren zwei Leguane, beide fast drei Meter groß und je dreißig Kilo schwer. Aber harmlos wie die Biene Maja auf Blütenstaubfang.
„Hab mal gehört, die Viecher können einem die Finger abbeißen“, sagte einer der Cops und wollte die Türe aufschieben.
„Yep“, sagte ich. Er beschloss, es bei einer Sichtprobe zu belassen.
Mein Kumpel soff und fraß sich bei mir durch und irgendwann waren wir bei einem Punkt, das er soviel Schulden hatte wie ein Schimpanse Haare an den Eiern und wir beschlossen, seinen Lohn wenigstens teilweise auf mein Konto überweisen zu lassen. Leider war er nicht der einzigste, der sich hier mit wenig Geld und großem Durst anmeldete und ich sah mich schon selbst mit einer Sammelbüchse und einem Schild „hungry and homeless“ in irgendeinem osteuropäischen Land rumsitzen, darauf wartend, ob mich nicht wenigstens die hiesige Mafia anwirbt.
„Früher war ich mal drogensüchtig“, eröffnete er mir, „Koks, Heroin, Crack, alles was der Markt so hergab. Jetzt bin ich Alkoholiker...“
„Na ja“, meinte ich, „wenn man sich verbessern kann...“
Ich hatte auch ständig einen Drink oder einen Joint in Reichweite und da war der Job als Kneipier ungefähr so, als wenn man einen Parkinsonkranken zum Messerwerfer ausbilden würde, der auf fickende Kolibris zielen sollte.
„Wir könnten uns umbringen.“ schlug er vor.
„Und die zurückbleiben sind die Helden, nee, laß mal...“. Ich winkte ab.
Es gab zu viele, die sich eine Spritze in den Arm jagten, einen Kälberstrick um den Hals legten oder Oma`s Tablettenvorräte für den ganzen Monat auf einmal schluckten. Hatte ich auch schon probiert und war dann schockiert und erstaunt das die Sonne trotzdem wieder aufging und ärgerte mich über Schläuche, die mir aus der Nase und aus dem Pimmel hingen als ich wieder aufwachte. Das Schlimmste waren die Gesichter der Leute, die mich besuchten, und ihr „WARUM?“ das in ihre Fressen gemeißelt schien. Es gab zwar nichts, was mich in dieser beschissenen Welt hielt, andererseits wusste ich ja auch nicht ob das Jenseits eine Kohlenschaufel für mich bereithielt und einen übelgelaunten Herrscher mit einem Pferdefuß und einem Schwanz, der in einem Dreizack endet, der irgendwelche perversen Späße für mich parat hätte. Aber genug Leute im diesseitigen Leben, die dann sagen würden: „ Hab`s ja gleich gewusst, das er es nicht mehr packt, ihr wolltet es ja nicht glauben...“ Und das wollte ich unbedingt vermeiden.
„Ich kenne da so einen Briefmarkenhändler“, schlug ich vor, „ich klopf ihm eine, du stehst Schmiere. Bargeld wird sofort geteilt, die Markensammlung verkaufe ich in der Schweiz.“
„Da bin ich zu feige. Ich geh morgen wieder arbeiten. Kannst ja mitkommen, bei uns anheuern...“
„Was machen? Milchkühen die vollgekackten Euter ausquetschen und bei den Ochsen nachschauen ob die kastrierten Eier gut verheilen? Bei euch auf dem Land gibt’s doch nichts anderes...?“
„Traktoren zusammen bauen.“
„Traktoren zusammen bauen?“
„Yep...“

*

Die Scheißdinger waren riesengroß, für den amerikanischen Markt bestimmt. Alleine die Hinterräder waren mannshoch. Wenn man aus dem Führerhaus eines solchen Monstrums fallen würde, hätte man einen Genickbruch und alles überstanden. Shit, ich wollte in mein Bett zurück.
„Was soll ich machen?“ fragte ich einen. In Gedanken war ich schon wieder im Zug nachhause. Aber die Fabrik war so groß, das ich gar nicht raus finden würde. Wo war ein Getränkeautomat? Wo war Gott? Wo ist mein Arschloch von Kumpel?
„Meld dich bei dem Meister, der für die Halle hier zuständig ist.“
„Und wo finde ich den?“
„Keine Ahnung, bin auch neu hier.“
Irgendwann kam einer:
„Sie sind um eine halbe Stunde zu spät.“ Ein Arschgesicht wie aus dem Bilderbuch für schwererziehbare Kinder zur Abschreckung. Rotfleckig und pockennarbig.
„Nein. Ich irre hier seit einer Stunde in diesen Katakomben ziellos umher.“
„Schon mal Pleuelstangen montiert?“
„Kann schon sein. Was sind Pleuelstangen?“
Na, die Dinger waren so Getriebeachsen, die man da rein reinwuchten musste. Ich fragte mich, warum man für diese Arbeit keine Elefanten einsetzen würde, für einen Menschen schien mir die Arbeit gar nicht möglich, so ein Teil wog über hundert Kilo und mir lief das Band davon und ich kam nicht mehr hinterher. Mit einer Eisenstange pumpte ich diese Eisenteile in die Getriebe rein bis ich Sternchen sah. Aber aufgeben wollte ich auch nicht und der Rest um mich amüsierte sich köstlich: lauter Typen mit riesigen Oberarmmuskeln und dem Hirn einer Filzlaus auf Beutezug um einen rasierten Kitzler. Dann verhakte sich die Eisenstange, meine Niederlage schien besiegelt.
„Du Vollidiot. Was glaubst du für was der Kran über dich da ist?“
Einer in einem Kittel. Ein Schichtmeister. Auch pockennarbig und rotbäckig.
„Hat mir keiner gesagt.“
„Wer hat dich angelernt?“
„Keine Sau.“
„Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, das ihr Scheißtypen alle gleich ausseht. Wie es halt in einem Inzuchtkaff üblich ist. Keine Ahnung wer mich hier hergelotst hat.“
„Wo hast du Landmaschinenmechaniker gelernt?“
Landmaschinenmechaniker? Wer liest hier die Bewerbungsunterlagen? Der Pförtner?
„Abflug, du gehst Kisten waschen., zusammen mit deinem Freund der AUCH auf der Abschussliste steht.“
Ölige Kisten, voll mit Schrauben, siebzig Grad Hitze, die an einem Band hingen, die Gewinde schnitten einem die Finger auf und das Fett setzte sich in den Rissen in den Händen fest.
„Und, wie gefällt es dir hier?“ fragte mein Kumpel.
„Wie würde es dir gefallen, wenn wir heute nach der Arbeit zu mir gehen, ich poliere dir die Fresse, stecke dir eine Salatgurke in den Arsch während du an die Zentralheizung fixiert bist und ficke deine Alte in alle Löcher. Dann wären wir nicht HALBWEGS quitt. Warum hast du mich hierher geschleppt?“
„Ich dachte, du wolltest einen Job?“
„Das nennst du einen Job?“
„Ich mach ihn schon seit ein paar Jahren.“
Gott im Himmel, was sollte ich dazu sagen. Er sah mich an, die Handflächen nach außen gekehrt, zog die Augenbrauen nach oben. Ein Kretin. Ich war nur von Schwachköpfen umgeben und die Elite hockte in meinem Freundesstab.
Um 17 Uhr war Feierabend. Wir zogen los, gingen in einen Supermarkt, klauten ein paar Schachteln Zigaretten, eine Flasche Schnaps und machten uns auf den Heimweg. Die Karre schlingerte auf der Fahrbahn nach links, nach rechts, dann wieder mittig. Zuerst dachte ich, das es die Stoßdämpfer der Rostlaube waren, aber dann nahm ich die Flasche in die Hand und stellte fest, das nur noch ein Schluck drin war. Das Auto war scheinbar in allen Punkten des Gesetzes unschuldig. Das Wunder geschah und wir kamen heil an. Ein Zweifamilienhaus, dessen eine Hälfte ich zur Zeit alleine bewohnte, weil die Lady, welche die Miete bezahlte zur Zeit im Irrenhaus saß. Ich hatte nicht nur die Schlüssel für die Bude und das Auto, sondern auch die EC-Karte mit Geheimnummer. Würde ihr zur Zeit eh nichts nützen. Ab und zu besuchte ich sie und brachte ihr irgendwelche Klamotten.
„Ihre Freundin macht sich langsam unkenntlich“, sagte der Arzt zu mir, „wir können ihre Selbstzerstörung nicht verhindern, sie findet immer eine Rasierklinge oder ein Messer um sich zu verletzen.“ Er zuckte mit den Achseln.
„Borderline ist eine schreckliche Krankheit. Sie müssen stark sein.“
Es interessierte mich nicht mehr, ließ mich auch nicht mehr erpressen von aufgeschnittenen Unterarmen oder den Versuchen sich den Kitzler oder die Brustwarzen abzuschneiden. Wurde zur Gewohnheit. Man nahm es mit der Zeit hin, wie dieses Musikgeklimper in asiatischen Lokalen, das sich immer so anhörte, als würde jemand unter Einfluß von Drogen ein Klavier stimmen und es einfach nicht hinbekommen, während man sich Sojasprossen, gebackene Entenärsche und eine scharfgewürzte Ananassuppe reinschaufelte.
Na, jetzt schweife ich ab. Sorry. Jedenfalls hatte ich die Hütte für mich alleine und dementsprechend sah es aus. Brandlöcher in der Couch, auf dem Teppich, verschimmeltes Geschirr im Waschbecken, faulende Stinksocken zusammen mit Hemden in der Waschmaschine, die nie eingeschaltet wurde.
Gemütlich halt. Wir waren in Onkel Toms Hütte. Bei mir.
„Meine Freundin kommt später auch. Was dagegen?“
„Nein. Von mir aus.“
„Können wir bei dir baden?“
„Von mir aus bringt euch um bei mir.“
Sie kam. Ich kannte sie schon länger. Aus meiner Kneipe. Ein Stück Dreck, abgefuckt, aus gutem Hause, wollte mal studieren, gute Schulbildung, hübsches Mädchen, in falsche Gesellschaft gekommen: in unsere.
Eine Alufolie wurde gesucht, gefunden, wir rauchten Heroin und ich trank sämtliche Reste die in der Bar standen, ging ins Bad, sah in den Spiegel um mich selbst anzuspucken und sah doch nichts...
Morgens um vier klingelte der Wecker.
Ich warf beide aus der Wohnung, verabschiedete die Obermieterin mit einem Fick, die ich öfter in dieser Zeit besuchte (die Story liefere ich euch nach), gab ihr sämtliche Türschlüssel.
„Bleib bei mir, bekommst jeden Tag eine Fußmassage. Deine Kneipe kannst du weiter behalten und du musst auch keine Traktoren mehr zusammen bauen. Ich habe etwas Geld geerbt. Wir könnten ein Leben aufbauen.“
„Das könnten wir.“
Nicht mal die Hälfte meiner Sachen hatte Platz in meinem Koffer, den ich packte und mein Gewissen und die Seele ließ ich ohnehin zurück.
Als die Tür hinter mir zuschlug, kam mir ein eiskalter Winterwind entgegen.
Das wird nicht der letzte sein, dachte ich und rieb mir Schneeflocken aus den Augen.
Das erste Auto, das ich antrampte, steuerte eine Frau, die grußlos weiterfuhr.
Alles, wie gehabt, dachte ich, sie mögen mich nicht, sie vergöttern mich manchmal, aber sie haben von Liebe soviel Ahnung wie ein Kaninchen von dem sexuellen Leben eines Spinnenmännchens, das nur einmal fickt und dann erledigt ist.
Es wurde dunkler und immer kälter, ich latschte blind, gedankenlos durch die Gegend. Eiskristalle an Fensterscheiben glotzen mich blöde an. Irgendwo ging ein Licht an und ein Vorhang wurde aufgezogen, ein Typ in einem Unterhemd kickte eine Zigarettenkippe aus dem Fenster und spuckte eine Ladung Schleim hinterher.
Vielleicht schreibe ich das irgendwann mal auf, dachte ich mir, wenn ich das überlebe. Eine Krähe saß zwei Meter vor mir am Straßenrand, ohne Scheu, auch mit Schnee bedeckt, während ich meinen Gedanken nachging, nickte sie immer. Später habe ich erfahren, das es bei Krähen Futterbetteln bedeutet, ich habe es anders gedeutet.
Aber ich hatte schon immer viel missverstanden.



(FINO 2000)
 

Kontakt zum Autor: lurchine2@yahoo.de

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