Ein fertiges Leben

Er hielt sie von Anfang an für eine Idiotin, die Schwachsinn redete. Doch es gab auch positives; warum hatte er sie sonst geheiratet. Doch seit einiger Zeit waren nur noch negative Empfindungen in ihm. Wenn er überhaupt welche hatte. Körperliche Kontakte -auch keine- seit Jahren nicht mehr; da war längst Kälte. Kein Wunder, nach zweiundzwanzig Jahren Ehe.
Erster Zeit Anpassungsversuche an sie, und die auf Kommando, bis er davon wie betrunken vom Stuhl kippte, - das war mal. In den letzten Jahren hatte das Leben mit ihr seine Seele dem Erdboden gleichgemacht. Und der Irrtum anfänglicher Liebe war ihm nur noch das Biertrinken.
Dagegen ihre Profession, die war das Elend der Welt an jeglichem Wochentag. Von früh bis spät das Leid von anderen vor der Glotze auszukotzen. Diese Figuren hinter Glas, die Lederstiefel und sonst was Idiotisches trugen. Diese mürbenden Eingangsbereiche hin zu Unmenschlichkeiten, die unbrisanten Talkshows, lachlosen Comedys, schlafmachenden Krimis...
Sie grinste trotzdem ihre blöden Augen immer wieder aufs Neue erwartungsvoll in die Neonröhre flackernden Lichts. Auf die an Wände, Decken, Türen gesprayte Figuren, gewürzt mit Arschloch- und Wichserparolen, gespielt und geschrieen von Typen mit Glasbrillianten im Ohr, verspiegelten Sonnenbrillen und tätowierten Hintern. Und letzlich noch diese Seelchen mit Pistolenhalftern. Zum Kotzen!
Seine oft gezeigte Verachtung dafür war ihr egal. Unermüdlich und bis zur absoluten Erschöpfung glotzte sie in die Kiste. Herrgott!, dieses Wachstum Hässlichkeit in ihr; einfach Abscheulich...
     Wie ein Edelstein erschien sie ihm bei der Hochzeit, wenn sie den Mund hielt. Sie roch frisch und sauber. Zitrus in einem Stapel Pullover. Und sie hatte einen aufregenden Körper. Alles wo es sein sollte. Doch längst war in der gemeinsamen Wohnung kein Verkehr mehr. Lediglich unreales Suchen nach Vornamen, Nachnamen,  Programmen und Telefonnummern.
In seinem Nachdenken stand Ekel über die täglichen Bedürfnisse der Straße, die zu ihnen hochgedrungen waren und die sie von ihm befriedigt haben wollte. Ihr maßloser Konsum, der ihn zu ersten Raubzügen nötigte, weil sein Verdienst als Polizeibeamter nicht mehr reichte. Die Versandhausschulden, die beglichen werden mussten... Darauf  folgend seine Rauscherlebnisse, die Bewusstlosigkeiten, Entzüge - und bald der Knast. Seine Entlassung aus dem Dienst. All das ging über seine Verhältnisse und Erfordernisse ans Leben.
Er war anders als sie. Er hatte seine Herkunft im Untergrund. Im Urgrund. In Zweckgemeinschaften. Sie hatte diese ihn prägenden Regeln nie verstanden. Deshalb fand sie auch kein Versteck für ihr Ich, meinte er. Und sie hatte keine Geheimnisse vor ihm, sagte sie. Von Anfang an nicht.
Ihr Fehler, wusste er jetzt. Denn er war Dunkelheit gewöhnt. Menschliche Querschläger. Die sich entfernenden Schritte. Die Abschiede trotz Dunkelheit und Stille.
Er war seinen Eltern ein Niemand, - der Störenfried. Und gemessen an den Umständen kam er günstig davon, als er in den Polizeidienst eintrat.
Sie nicht, sie blieb ein Vexierbild. Ihre elterliche Sprachkunst verdorrte, und gerade da hatte sie ihr gößtes Talent - im lyrischen Schreiben. Doch einer öden Stadtlandschaft glich sie im Alter der Gegenwart. Eine Vertriebene war sie - und doch krampfhaft bemüht die erlernten Lebensregeln zu retten. Diese Landschaftsbeschreibungen von Heimat. Die Welt am verlorenen Horizont entlang. Ekelhaft versagt hatte sie! - fluchte er; und bald lebte sie nur noch ihren Phantomschmerz, - fraß unmäßig. Sie fraß 'häppchenweise' vierundzwanzig Stunden am Tag ihr eigenes Todesurteil; verlor die Figur, wurde fett... Was konnte er dafür?
     Er schwankte in völliger empfindungsloser Dunkelheit von der Kneipe nach Hause; glücklicherweise ein Feuerzeug dabei. Seine versoffenen Augen als Taschenlampe, in die sogleich benommen Dunkelheit zurückkehrte. Die Zunge am Schlüsselloch, um zu schmecken: ich bin daheim. Im Wohnzimmer ein Umriss Mensch, und sein Fingerspitzengefühl. Das Knackgeräusch.
Ein Grau auf dem Teppichboden. Sie lag da. Dieser Eindruck von Armut. Diese eine immer wiederkehrende Überraschung. Das Kabel zum Fernseher riss er mit einem Ruck aus der Wand.
Er stand am Bücherregal gelehnt, drehte sich von der Leiche weg und dachte an frühe Liebeserklärungen. Auch an Demütigungen im schmerzigen Akt. Positionen am Waschbecken in der Küche, im Bad, um beim Sex in den Spiegel sehen zu können.
Im Überbeugen machte ihr Arsch bis vor Jahren einen glatten, natürlichen Eindruck. Beim Umdrehen warf sie regelmäßig ihre Beine über seine Schultern, die Augen vertrauenswürdig. Damals.
Jetzt blieben ihm für ein Lebwohl seine Tastorgane. Haut, Zunge, Nase, Finger, Arme und Beine; der Schwanz nicht! Dafür das Waschbenzin im Vorratsraum. Das Feuerzeug - zum Glück.

Juli 2003 by michy köhn

Kontakt zur Autor: Michael Köhn - M.Koehn@literatalibre.de
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