In - Konsequenz

In - Konsequenz
Vor der Feme bewegen sich die Nerven eines Angeklagten wie Espen im Wind. Ihm ging es nicht anders. Doch warum, denn als er ins Haus kam, war die Tür nicht versperrt. Er war also willkommen, wie immer.
Im Flur, auf dem Boden, die Wand lang, standen Hunderte von Flaschen, eine Plastiktüte, aus der es verwest roch. Als er den Flur entlang ging, an der Schlafzimmertür vorüber, stank es von da wie das Leben jenseits von Sexualität und Freude; muffig und todbringend. In der Küche das Aufblitzen eines Messers. Ein Aal wurde enthäutet. Eine Frau presste eine Hand auf die Wunde hinter dem Kopf des Tieres, trotzdem war alles voller Blut. Visionen. Die Religion hier war streng. Bei Hammeln wie bei Aalen. Bei Menschen.
Die Religion ist ein Sympathisant des Teufels und verbreitet Angst mit dessen Namen. Er, der Teufel, spricht Deutsch und kann lesen und schreiben. Gott weiß - woher der das hat, fragten sie sich untereinander. Nun ist er in Berlin, von seinem Clan, der Feme, des Mordes angeklagt. Tod, den er selber wie auf Rezept verabreichte. Vor Risiken und Nebenwirkungen hatte er nicht gewarnt.
Gott selbst war es, der solche Träume verkaufte. Was ihn wenig zu schämen schien.
Von dem hatte er das Patentrezept übernommen. War Christ geworden. Gleichzeitig deutscher Staatsbürger. Nun, hier, vor Gericht, musste er die Maske abnehmen, die ihm im Lauf des Lebens mit dem eignen Gesicht zusammen gewachsen war, die zum eigenen Gesicht geworden, da ihm die Gnade eines frühen Todes versagt war.
Es war alles einfach geil, sagte er vor Gericht. Was war geil, fragte der Vorsitzende. Na Gott und Teufel in einer Person zu sein, sagte er, - zeitweiliger Herr des Geschicks. Wie war der Name, fragte der Vorsitzende. Keine Antwort, denn der war längst zwischen Gemeinde und Familie verschütt gegangen. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse - und wer wollte das schon wissen - denn da war die Familie, die galt es zu ernähren. Der Vater war zu Tode gekommen, da war er drei. Mit drei Verantwortung tragen?
Die Männer, die ihn jetzt verurteilen würden, waren zur Beerdigung des Vaters im Sonntagsanzug erschienen. Ihm, dem Dreijährigen, strichen sie über das Haar. Wir werden für dich sorgen. Und als er sechzehn war, übernahm er den Drogenhandel im Hafen. Er trank und rauchte nicht und trieb sich auch nicht herum. Nur zur Arbeit.
Da war er dann dort, wo er sonst nicht war. Und die Würde bewahrte er, wenn es ginge.
Kiez, Discos, Bars, Kneipen, Absteigen, die waren ihm Mittel zum Zweck. Und dort hatte er alles unter Kontrolle. Jetzt, vor Gericht, da war er plötzlich ein Ausgestoßener. Frühere Freunde sagten als Zeugen  gegen ihn aus. Die küssten ihm früher vor Dankbarkeit den Arsch. Hier sah er denen vor Angst einen Schauer über den Rücken laufen. So war das nun mal.
Nun sitzt er seit Stunden auf der Anklagebank, die Hände gebunden, sein Haar streng gescheitelt, die Wangen rasiert. Vorne läuft jetzt die strukturell überdimensionierte Zurschaustellung eines Leidenswegs; das Leben einer Cousine zweiten Grades.
Er kannte das Mädchen nicht. Erst hatte er der in den Hintern gekniffen, die geküsst, mit ihr getanzt, dann, durch die Hose, angefixt, wie immer. Auf der Toilette gefickt. Sie war dreizehn. Kein Alter. Doch alt genug, um in die Disco zu gehen. Alt genug für ihn, sie zum Kunden zu machen. Sie auf den Strich zu schicken.
Der erste Fick ist immer umsonst. Der erste Tod ist immer der erste.  Sie hatte sich davon nicht wieder erholt. Schaffte auf dem Arschfickstrich an. Und so. Ihn würde die Feme deswegen zum Tode verurteilen. Umbringen durch erwürgen. Schließlich lebten die Alten noch im Zeitalter ihrer eigenen Konsequenz. Und immer ist deswegen ein Hohepriester dabei. Wäre er ein Hammel, ein Aal, sie würden ihm die Kehle durchschneiden. Er möchte mit Hammel und Aal tauschen. Jedenfalls, die Gewaltanwendung, wie auch immer, und der Gedanke an Flucht ist ihm nicht fremd. Allein vorbei - das Scheißspiel, resignierte er. Der Prozess wurde so oder so in aller Konsequenz fortgesetzt.


Juli 2003 by michy köhn

Kontakt zur Autor: Michael Köhn - M.Koehn@literatalibre.de

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