Wallie, die Retterin der Mäusezunft

Das kleine Haselmäuschen huschte flink über die Wiese und suchte sich einen Unterschlupf bei einem Abfalleimer. Das war ja gerade noch einmal gut gegangen. Sie sah sich schon bei ihren Geschwistern im Mäusehimmel, als dieser fette Köter mit seiner feuchten Nase an ihr herumgeschnuppert hatte. Dabei wollte sie doch nur ihrer Freundin Gerlinde ihren neuesten Fummel zeigen. Bei dieser wilden Flucht hatte sie sich nun genau diesen ganz schmutzig gemacht und außerdem war er an den schönsten Stellen ganz fürchterlich eingerissen. Das war eigentlich mehr, als ihr zartes Herzchen verkraften konnte.

Seit nunmehr 87 Tagen war die Gute auf der Welt und mit Wehmut blickte sie in ihre Kindheitstage, als alles noch so unkompliziert gewesen war. Doch diese Verspieltheit hatte nicht lange angehalten. Als nämlich die anderen Mäuslein herausgefunden hatten, daß ihr, eigentlich männlicher, Spielgenosse nicht nur recht nasal sprach, sondern auch ziemlich rumtuckte, hatten sie sich von ihr abgewandt. Sie hatte sich dann immer bei ihrer lesbischen Tante ausgeheult, die ziemlich butchig drauf war und diese hatte ihr immer Trost gespendet.

Der Geburtsname unserer Heldin war ursprünglich Waldemar gewesen. Doch nachdem sie mit Ach und Krach endlich ihr Coming-Out gepackt hatte, was teilweise recht schmerzhaft gewesen war, rang sie sich dazu durch, den Künstlerinnennamen Wallie anzunehmen und es war gut so. Den größten Auftrieb verschaffte ihr natürlich die Tatsache, daß sie durchaus nicht allein in ihrer Veranlagung war und sie fand sich eines Tages in einer ziemlich schillernden Homoszene wieder. Nach einigen gescheiterten Affären, zu denen auch Gerlinde gehört hatte, hatte sie sich erst einmal entschlossen, sich selbst zu finden und dann einen neuen Versuch in Richtung Beziehung zu starten. Die Homo-Ehe war ja nun schon einige Tage legal, wenngleich dies Wallie noch gar nicht so glauben konnte, da die Gesellschaft immer noch recht intolerant war. Doch wenn sie konsequent ihre Andersartigkeit auslebte, würde sich dies schon noch ändern, hatte sie beschlossen

Nun war ja ihr Ausflug zu Gerlinde so ziemlich in die Hosen gegangen und sie hatte sich zitternd unter dem Mülleimer zusammengekauert, der ihr nur temporär Schutz bot, da der Hund sehr hartnäckig mit seiner Nase daran schubste. In ihrer Verzweiflung stieß Wallie einen markerschütternden Schrei aus und tatsächlich: dieser Gefühlsausbruch schien wirklich durch Mark und Bein zu gehen. Benommen schüttelte der Hund den Kopf, seine Augen traten aus den Höhlen hervor und er mußte sich lautstark und überaus geschmacks- und geruchsintensiv in den Rasen erbrechen. Sogleich zog er den Schwanz ein und rannte jaulend davon.

Na sowas! Das war ihr ja noch nie zuvor zugestoßen. Sie hatte da anscheinend zusätzlich zu ihrer Homosexualität, oder vielleicht gerade deshalb, eine ganz außerordentliche Begabung. Einige Mäuslein hatten das Geschehene natürlich aus einer sicheren Entfernung beobachtet, wenn gleich sich bei ihrem Beweggrund eine gewisse Sensationslust nicht leugnen ließ. Nun war diese natürlich bei weitem gesättigt worden und mit lautem Jubelgeschrei eilten sie zu der noch immer recht geschockten Wallie, hoben sie auf ihre Schultern und rannten mit ihr zur Mäuse-Ältesten, die bei ihnen das Sagen hatte.

Nachdem sie dieser das sich Zugetragene berichtet hatten, stand sie auf und verkündete mit fester Stimme, daß Wallie da etwas, in seiner Tragweite für die Mäuseschar noch nicht abzusehendes, ganz arg supertolles getan hatte. Sie wurde offiziell zur Mäusewächterin ernannt und erhielt als Honorar für diesen Dienst ein besonders hübsches Uniförmchen, das natürlich ganz fürchterlich schrill war und glitzerte und schimmerte.

Sobald eine Maus von einer Katze, einem Hund oder was auch immer bedrängt wurde, rief sie die vereinbarte Parole: "Wallie, Hüterin der Mäuseschar, komm herbei und zeig' dich bar, erhebe die Stimme zum schützenden Kreischen, damit die ÜbeltäterInnen weichen!". Zugegebenermaßen war dies natürlich ein ziemlich aufwendiger Hilferuf, aber Wallie konnte es sich leisten, etwas Extravaganz an den Tag zu legen. Nun wird sich die aufmerksame Zuhörerin sicherlich fragen, wieso sich Wallie bar zeigen sollte. Das hatte den einfachen Grund, daß die Uniform, die Wallie in ihrer Funktion trug, sicherlich ganz nett anzuschauen, aber eigentlich recht unpraktisch war. So mußte Wallie diese immer erst ablegen, bevor sie zu ihrem fürchterlichen Gekreisch ansetzen konnte. Dies hatte allerdings auch den nützlichen Nebeneffekt, daß die um Hilfe rufende Maus sich die Ohren mit der in der Uniform eingearbeiteten Federboa versiegeln konnte, denn Wallies akustische Waffe hatte natürlich auf alle Wesenheiten die gleichen Auswirkungen.

Bei einem jener Rettungseinsätze lernte Wallie dann auch ihren Mäuserich für's Leben kennen. Er hieß Mausfred und wurde von einem Menschen-Kleinkind herumgedalgt, was ihn natürlich massiv davon abhielt, den vereinbarten Hilferuf korrekt zu artikulieren. Doch Wallie hatte ein gut ausgeprägtes Gehör und war schnell zu Stelle. Als sie ihre übliche Vorgehensweise beendet hatte, rannte Mausfred mit Tränen in den Augen in ihre Arme. Dem Kind, das röchelnd im Grase lag und nun von seiner Mutter gesäubert wurde, schenkten die beiden keine Beachtung mehr und verzogen sich schnell in einem Mauseloch, wo sie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht Körperflüssigkeiten austauschten. Erst nachdem sie ganz wund waren kamen sie wieder heraus und einige Tage später wurde eine bombastische Hochzeit gefeiert.

Mausfred hatte zwar ab und zu eifersüchtige Anwandlungen, wenn Wallie wieder mal gerufen wurde, doch ihre Ehe verlief den Rest ihres Mäuselebens recht harmonisch und die beiden waren den größten Teil der Zeit überglücklich.

Kontakt zum Autor: Markus Schmid - markus@fun.de
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