Meine Einsamkeit


Ich schaue mir dabei zu, wie ich versuche mich zum Glück zu überreden. Vom Glück zu überzeugen.
Schwierig, aber möglich. Man muss die richtigen Leute treffen.
Ich treffe die Einsamkeit, einer meiner ältesten Freundinnen.
"Ach, Einsamkeit." sage ich. "Ich würd’ so gerne mal eine Zeit mit dem Glück verbringen, aber das erscheint mit immer so einfach. Zu einfach. Fast langweilig. Banal. Aber trotzdem schön."

Die Einsamkeit kichert und rotzt auf den Boden.
"Meinst du?" sagt die Einsamkeit.
"Ja" antworte ich.
"Woher weißt du, dass du recht hast?" fragt mich die Einsamkeit.
"Gar nicht." antworte ich.
"Siehst du." sagt die Einsamkeit.
"Probier’s nur, ich halte dich nicht auf. Geh nur, stoß dir die Hörner ab."
Die Einsamkeit schaut mich fast beleidigt an. "Irgendwann kommst du ja doch zurück." Sagen ihre Augen.

Ich Antworte nicht und sehe den zweiköpfigen Dackel der Gegensätze eine Strasse weiter an zwei Laternenpfähle gleichzeitig pinkeln. Der zweiköpfige Dackel der Gegensätze hat Zwei Köpfe und zwei Pimmel. An jeder Körperseite einen Kopf und einen Pimmel. Absurdes Wesen. Zwei Gehirne, zwei Paar Eier.
Deswegen pisst er sich bei jeder so wie so schon nicht einfachen Entscheidung für eine Laterne gleich doppelt in die Fresse. Meistens sucht er sich zwei nah zusammenstehende, damit es wenigstens gleichzeitig passiert und nicht hintereinander.

"Schau mal, der Dackel der Gegensätze... armes Vieh." sage ich zur Einsamkeit.
"Wenigstens hat er Zwei Laternen, die nah genug beieinander stehen gefunden, um sich nicht zweimal hintereinander erniedrigen zu müssen," antwortet die Einsamkeit.
"Je länger der Dackel der Gegensätze wird, umso wahrscheinlicher wird es, dass er zwei Laternen findet, die er gleichzeitig erreichen kann," sage ich zur Einsamkeit. "Je weiter sich seine zwei Köpfe voneinander entfernen, umso schwerer fällt ihm das Denken," antwortet die Einsamkeit.
Es gibt einfach keine optimale Lösung. Außer den Dackel in zwei Teile zu schneiden. Dann ist er entweder glücklich. Oder tot.

"Es könnte klappen," sagt die Einsamkeit, die auf meiner Schulter sitzt und raucht.
Ich überlege, was die Einsamkeit meint.
"Kippe?" "Nee." sage ich. Ohne große Überzeugung.
"Ich rauch' nur noch Tüten, erstmal."
"Ach so." grinst die Einsamkeit.
"Rauchen wir einen zusammen?"
Ich schaue die Einsamkeit an, die Einsamkeit schaut mich an. Die Einsamkeit bläst Rauchringe in die Luft. "Bau mal." "Hab kein Gras."
Antworte ich.
Die Einsamkeit schüttelt den Kopf, drückt ihre Kippe aus, schmeißt mir den Stummel an den Kopf und verschwindet um die nächste Ecke.

"Bis bald!" Sagt sie. "Wir sehen uns!" Antworte ich. "In Begleitung, vielleicht!"
Die Einsamkeit bleibt stehen. "In Begleitung? Mit der Einsamkeit trifft man sich nicht in Begleitung!" Zum ersten Mal seit langem wirkt die Einsamkeit, meine Langzeitbeziehung, eine meiner ältesten Freundinnen, unsicher. Beleidigt.
"Was für ne Begleitung? Ich bin deine Begleitung!" Ich lächele. "Ja, ich weiß und das werde ich auch nicht ändern können. Aber ich kann andere finden, die auch einsam sind. Die mich gebrauchen können, die ich brauche. Es gibt welche, mit denen kann man die Einsamkeit besuchen gehen. Das sind die Außergewöhnlichen. Die Besonderen.

"Ich weiß nicht ob du spinnst, oder ob du Recht hast", sagt die Einsamkeit und zündet sich eine neue Kippe an. "Schaun wir mal", sagt die Einsamkeit. "Schaun wir mal", sage ich. Die Einsamkeit wendet sich zum Gehen. "Sie heißt Lice." sage ich. "Schaun wir mal", sagt die Einsamkeit.

Der Dackel der Gegensätze schüttelt sich die Pisse aus dem Fell. "Armes Vieh." denke ich. Dann biegt er sich zu einem U und die beiden Köpfe lecken sich gegenseitig ab. "Gar nicht so armes Vieh." Denke ich.
"Immerhin kann er sich selber helfen und selbst bedauern. Er macht das Beste aus seinen Problemen."
Der Dackel der Einsamkeit guckt böse zu mir herüber. "Probleme die ich nicht hätte, mit nur einem Kopf!" Scheint sein Blick zu sagen. Dann fährt er fort, sich selbst zu belecken und zu bedauern. Dabei jault er sich selbst leise zu.

Nach einigen Minuten und Koordinationssschwierigkeiten die Richtung betreffend läuft der Dackel vorwärts und rückwärts zu einer öligen Pfütze und trinkt in tiefen Zügen. Die ölige Pfütze ist das Leben. Die Beziehungszwangseinheit Dackel der Gegensätze weiß, was passieren wird. Je mehr er trinkt, umso häufiger muss er sich in die Fresse pissen. Doppelt. Lassen kann er es trotzdem nicht.

Ich schaue mich um, die Einsamkeit wartet häufiger in dunklen Ecken, um mich mit einem kleinen Schrecken aus meinen Gedanken zu reißen.
Einem Kichern, das da sein könnte oder nicht. Schritten, die hinter mir zu sein scheinen und dann vor mir zu hören sind.
Personen, die zu schnell hinter Ecken verschwinden, um wirklich da gewesen zu sein. Oder doch?
Heute nicht. Der Dackel der Gegensätze zieht weiter. Ich setze mich an den Rand der öligen Pfütze und werfe Steinchen ins Wasser, die Wellen schlagen. Spritzer landen auf meinem Schuh, auf meiner Hose. Ich werfe immer größere Steinchen, bis das ölige Wasser spritzt und schäumt. Nass und keuchend setze ich mich wieder und warte, bis die Pfütze sich beruhigt hat und ihren undurchdringlichen, öligen Glanz zurückbekommen hat. Meine Atmung beruhigt sich zusammen mit der Pfütze.

Ein Gesicht erscheint hinter mir. Jemand schaut über meine Schulter.
Wenn das Wasser doch nur klar wäre! Die schillernde Oberfläche verzieht die Gesichtszüge zu wabernden Schlieren.
Ich will mich nicht umdrehen. Es könnte Lice sein. Oder die Einsamkeit.
Ich denke daran, dass der Dackel der Gegensätze wohl manchmal auch scheissen muss. Oder lebt er allein von öligem Wasser? Wohl nicht.
"So schlimm scheint es nicht zu stehen um mich", denke ich mir. Armer Dackel. Ich muss mir wenigstens nicht selbst ins Maul kacken. Doppelt.

Ich blicke auf das ölige Wasser. Der Kopf über meiner Schulter ist verschwunden. "Verdammt!" Denke ich mir. Springe auf. "Hallo?" Mein Rufen verhallt ohne jegliches Echo. "Hallo, Bonjour, Selah?" Niemand antwortet mir.

Meine Umgebung besteht aus vereinfachten Formen, schwarzweißen Würfeln, die ihre Farbe je nach Lichteinfall ändern. Das meiste ist Grau. Die Asphaltierten Oberflächen glänzen, ölig, als hätte das Wasser früher höher gestanden.
Jetzt ist nur noch die Pfütze übrig geblieben, aus der der Dackel der Gegensätze säuft. In die ich Steine werfe. Wer hat hinter mit gestanden? Schritte entfernen sich. "Hallo?" Wieder keine Antwort "Hallo, Bonjour, Selah?" Keine Antwort für mich.

Ich umrunde die Pfütze, um zu einem etwas weiter entfernten Block zu kommen. Auf der Schattenseite, die eigentlich schwarz oder zumindest dunkelgrau sein sollte habe ich ein helles Kästchen entdeckt. Ein zweidimensionales Kästchen. Einen kleinen Zettel. "Du musst den Abfluss finden." Steht auf dem Zettel.
Da hängt das nächste Zettelchen. Auf der weißen Seite eines Kastens,
nicht weit entfernt. "Such nach dem Hahn!" Ich glaube, es krähen zu hören. Aber der ist nicht gemeint.

In der Grauzone im Mittelteil eines Kastens, dem Bereich wo hell und dunkel zur Gleichgültigkeit verlaufen sehe ich ein weiteres Zettelchen kleben. Ein senfgelbes, Postitsenfgelb. Wie die meisten dieser Zettelchen. Dieses wirkt realer als die beiden anderen, weil es zerknittert ist und nur hastig wieder glatt gestrichen wurde. Die Vorderseite des Zettelchens ist leer. Auf der Rückseite unter dem Klebebalken, in dem ein paar Fusseln hängen stehen zwei Worte. Ich halte den Zettel ins Licht, um lesen zu können. "Bis Montag." Steht da.
Bis Montag. Wieder glaube ich Schritte zu hören. Montag kommt Lice zurück. Ein Hinweis? Ein Streich meiner alten Freundin Einsamkeit? Das alles hier, das Werk eines Wahnsinnigen, eines dämlichen, lallenden Irren, der die Realität längst aus den Augen verloren hat und wahllos durch die Gegend stolpert ohne zu wissen, wohin? Mein Werk?

Ich stecke den Zettel in die Tasche. "So lange ich mir noch nicht selbst in die Fresse scheisse, ist alles ok." Denke ich mir. Grausames warten. Bis Montag. Ich greife in die Tasche meiner geliehenen, schwarzen Filzjacke um meine Zigaretten zu angeln. Mir eine anzustecken. Rauchringe in die Luft zu blasen, denen ich hinterher schauen kann. Da sind keine Kippen. Nur ein Feuerzeug, das mir nach 3 Tagen Nichtrauchen wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten vorkommt. Zeiten, die gar nicht so schlecht waren... zusammen mit der Einsamkeit 20 Zigaretten am Tag rauchen, das ist nicht übel. Man fühlt sich abgeklärt. Irgendwie sicher.

Ich falte das Zettelchen auseinander, das ich in der Hand zerdrückt habe. "Bis Montag." lese ich, noch einmal. "Bis Montag." denke ich mir und setze mich zurück an die ölige Pfütze, die das Leben ist.
Ich werfe Steinchen in die Pfütze und beobachte die Ringwellen, die größer werdend nach außen ziehen und der trägen Oberfläche eine spielerische Leichtigkeit verleihen. Meine Gedanken machen sich auf den Weg. Ich sehe mich in einer schwarzen, geliehenen Filzjacke am Ufer der öligen Pfütze sitzen, die das Leben ist. Ich mache mich auf die Suche.

Nach dem Abfluss. Irgend jemand muss doch kontrollieren, wohin das ganze Wasser läuft. Das ganze ölige Wasser, das einmal all die schwarzweissgrauen Würfel hier bedeckt haben muss. Warum wurde das ganze Wasser abgelassen, bis auf eine Pfütze?

Nach dem Hahn. Irgend jemand muss doch kontrollieren, wie viel Wasser nachgeflossen kommt. Gerade kommt gar nichts. Stillstand. Da stimmt doch was nicht. Wohin ist das ganze ölige Wasser geflossen,
dass einmal die schwarzweissgrauen Würfel hier bedeckt haben muss? Die Pfütze hier kann nicht alles sein.

Ich brauche Nachschub. Einen starken Regen. Ein Unwetter, das einen Strudel erzeugt, um dann zum stillen Meer zu werden. Mit Wellen. Einer Insel drin. Gelegentlichen Orkanen. Wolkenwirbeln.

Ich sehe mich am Ufer der öligen Pfütze sitzen und Steinchen ins Wasser werfen. Ich mache mich auf die Suche. Ich muss die Verantwortlichen finden. Die, die was zu sagen haben. Ich glaube, einen Hahn krähen zu hören oder irgendjemanden, der einen Hahn imitiert. Recht gut, wie ich glaube. Ohne das beurteilen zu können. Ich bin kein Spezialist im beurteilen von imitierten Hahnenschreien. Ich kann noch nicht mal einen imitierten von einem echten unterscheiden, in diesem Moment. Dazu ist schon ein unabhängiges, unbestechliches und nicht involviertes Gremium notwendig, das die Frage klar definiert und beratschlagt. Die Möglichkeiten aufzählt und die Wahrscheinlichste auswählt. Rankings erstellt. Ich schaue mich um. Es ist niemand da. Wen interessieren schon Hahnenschreie?

Ich beschließe, den Traumfährmann zu suchen, der mich schon einmal über die Wolken geschifft hat. Zusammen mit meiner alten Freundin, der Einsamkeit. Ich muss ihn fragen, ob ich noch mal mit ihm reisen kann. Diesmal in Begleitung. Als Dackel der Gegensätze. Zusammen mit Lice. Nur für den Fall... im Vorbereiten bin ich gut. Ich kann organisieren, weil diverse Möglichkeiten, alle möglichen Unglücke und Glücksfälle, mein Hirn und meinen Geist schon im Vorhinein bestürmen. Ich versuche, auf alles Mögliche zu achten. Das klaut mir manchmal meine Konsequenz. Oder ich bin gegen alles gewappnet. Wenn es läuft. Wenn es gut geht.

Werft mich in eine ölige Pfütze und ich versuche zu schwimmen, bis sie trocken liegt. Aber nicht, ohne als erstes auszuprobieren, ob ich stehen kann. Schwimmen liegt mir nicht besonders.

 

Kontakt zum Autor: Malte Spindler - malte.spindler@gmx.de

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